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Im Herzen von Tallinn, am Hafen und an der früher wichtigen Kreuzung von den Strassen von Tartu, Narva und Pärnu wurde im frühen 19. Jahrhundert der Grundstein für ein Industriegebiet von Christian Abraham Rotermann gelegt. Zur Blütezeit Anfangs des 20. Jahrhunderts entwickelte es sich zu einem der grössten Gewerbegebiete Tallinns mit Fabriken und Anlagen aus verschiedenen Geschäftsgebieten wie Getreidemühlen, Schnapsbrennerei, Baustoffhandel aber auch Lebensmittelfabriken, ein Kraftwerk und das erste Autohaus Estland.

Die sowjetischen Besatzung war das Ende für das Gebiet, da die Firmen verstaatlicht und die Produktion eingeschränkt wurde. Irgendwann war das Rotermann Viertel so verrottet, dass es das perfekte Set für den apokalyptischen Science Fiction Stalker war.
In den 1970er Jahren gab es Pläne alle inzwischen teilweise schon zerfallenen Gebäude abzureissen, um eine grosse Fussgängerzone vom Hafen zum damals wichtigen Viru Hotel zu schaffen.
Nach der Unabhängigkeit von Estland sah man den Wiederaufbau des Viertels als unwahrscheinlich, da die Gebäude nach der Sowjetzeit in wirklich schlechtem Zustand waren. 2001 wurde zwischen den zerfallenen Bauten das Multiplex-Kino Coca-Cola Plaza eröffnet. Noch im selben Jahr erklärte man das Gebiet als kulturell wichtig und erhaltenswert.

2002 wurde der vom Estnischen Architektenverbands beauftragte Zonenplan von Andres Alver und Veljo Kaasik genehmigt. Der Zonenplan wurde in Zusammenhang mit einem grossen Bauträger und dem Denkmalschutz erstellt. Dieser beinhaltete, dass die ersten beiden Geschosse aller Gebäude öffentliche Funktionen haben und zur Strasse geöffnet werden sollen. Der Zonierungsplan sah auch vor, dass Fahrzeuge nur im Notfall zwischen den Gebäuden erlaubt sind. Eine dichte Bebauung mit allen Dienstleistungen in der Nähe sollte die Verwendung von Fahrzeugen unnötig machen. Im Jahr 2005 folgte dann der Raumentwicklungsplan.
Die ersten Neubauten Rotermanni 5 / Roseni 10 wurden 2007 als Gewerbe- und Wohnkomplex fertiggestellt (Architekten Ott Kadarik, Villem Tomiste und Mihkel Tüür). Für ihre experimentelle Annäherung an die vier Stadthäuser wurden die Architekten 2008 mit dem Staatlichen Kulturpreis ausgezeichnet.
Im selben Jahr wurden auch die ehemalige Gerstenbüstenfabrik (Teigar Sova Arhitektid) und 2008 die Probeentnahmemühle (Emil Urbel ja Ainar Luik) als Gewerbe- und Büroräume rekonstruiert.
2009 folgte dann der Wiederaufbau des südwestlichen Teils mit dem historischen Mehllagergebäude. Die Vision der Architekten HGA (Hayashi – Grossschmidt Arhitektuur) wurde 2009 mit dem Jahrespreis der Kulturstiftung Estlands in der Architektur ausgezeichnet.
Diverse weitere Bauten und Platzgestaltungen wurden in den folgenden Jahren umgesetzt um das Gebiet erleb- und bewohnbar zu machen. Die Rezession stoppte jedoch die Entwicklung stark.
In den Jahren 2016 und 2017 ging es weiter und es wurden diverse neuer und rekonstruierter Gebäude fertiggestellt, darunter das Aufzugsgebäude entlang der Hobujaama-Strasse (KOKO) https://koko.ee/. Der ehemalige Getreideaufzug war wohl das komplexeste Gebäude, das im Rotermann-Viertel renoviert wurde. Um sein authentisches Aussehen zu behalten, wurden keine Türen und Fenster in der äusseren Hülle umgesetzt.
Die ab 2017 umgesetzten Bauten zeigen klare Abweichungen zum ursprünglichen Zonierungs- und Entwicklungsplänen auf. Mit weniger Mut zum Experimentieren wurde nicht mehr nach innovativen Lösungen in Beziehung zum historischen Umfeld gesucht. Es ist vielmehr ein Bild von neuzeitlichen Kommerzbauten, die aber durchaus gute Architektur ist.
Aktuell stellen die Architektinnen Mathilda Viigimäe und Kristi Tšernilovks die interessante Frage ob das Rotermanns Quartier eher eine Reihe von tollen Gebäuden, als ein idealer öffentlicher Raum ist? Die vergangenen Jahre der Entwicklung zeigen, dass die städtebaulichen Pläne aus den frühen Neunzigern das Potenzial für die Entwicklung eines sehr vielseitigen und einzigartigen Raums hatten
Es lässt sich auf jeden Fall sagen, dass das Rotermann-Viertel in Tallinn ein spannendes Beispiel für die gelungene Revitalisierung eines ehemaligen Industriegebiets ist und einen Besuch wert, auch wenn man nicht speziell architekturbegeistert ist
Quelle/ Interessante Links:
https://ajakirimaja.ee/en/rotermann-quarter-20-…
https://www.sirenen-und-heuler.de/roterman-vier…
https://www.langeproon.ee/lahendused/uusehitist…
https://www.arhitektuurimuuseum.ee/eng/the-muse…
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